Vom Verlieren und Finden

 

Als Kind konnte ich Wandern nicht ausstehen. Egal, ob es die Besuche fremder Kirchen, entlang von Weinbergen im Rheinland oder über die Dünen am Meer ging – ich sah keinen Sinn darin, ziellos durch die Gegend zu laufen, immer auf der Suche nach alten Wegen, die neu entdeckt werden wollten. Warum auch? Ich war zufrieden mit dem, wo ich war, und woher ich kam. Wann genau sich das änderte, weiß nur der liebe Herrgott. Irgendwann zog es mich jedoch in die Stille – in das heimische Wäldchen der Königsheide, wo ich beinahe täglich unterwegs war. Dort atmete ich die Ruhe ein, genoss den Duft der Tannen und ließ den Alltag hinter mir. Ich lief über die Zickerschen Berge bei Klein Zicker auf Rügen und schätzte jede Minute fernab von Berlin. Berlin, das immer lauter und bedrohlicher wurde.

Es war nicht DIE Gewalt, die das Bedrohliche ausmachte, obwohl auch die in den letzten Jahren spürbar zugenommen hatte. Es war die Anonymität, dieses Gefühl, dass es niemanden mehr interessierte, wie es seinem Gegenüber ging. Es gab und gibt die weiterhin, eine grundsätzliche Aggressivität – im Straßenverkehr, in der U-Bahn, teilweise beim Einkaufen einfach im alltäglichen Leben. So viele interessieren sich nur für ihr eigenes Wohl, immer auf der Jagd nach dem eigenen Vorteil. Es wird gepöbelt, weggesehen und bei den kleinsten Missverständnissen entlädt sich ein Hass, der beängstigend ist. Es ist, als wäre das Miteinander verloren gegangen – Menschen ohne Mitgefühl, getrieben von einem Drang, immer Erster zu sein. An der Ampel, an der Supermarktkasse, im Job: Warum war das so wichtig? Welche Anerkennung sollte es dafür geben? Und vor allem: Macht es wirklich Sinn, ständig auf Hochtouren zu laufen?

Mitten in diesem Chaos hatte ich das Gefühl, mich selbst zu verlieren – und fand mich beim Wandern wieder. Es wurde zu meinem Anker, meinem festen Halt. Die Gemeinschaft, die man auf den Wanderwegen, den Almen und Rastplätzen erlebt, ist einfach Balsam. Ich bin mit vielen fremden Menschen in kurze und lange Gespräche gekommen. Ob jung oder alt - jeder hatte eine kleine Anekdote zu erzählen. Man grüßt sich und läuft gefühlt ein Stück den gleichen Weg im Leben entlang. Ohne das man Frust, Wut oder Resignation spürte. Doch dann kam eines Tages Fräulein Panik in mein Leben und wirbelte alles durcheinander.

Willkommen Fräulein Panik! Ich habe nicht nach dir gesucht, und doch hast du mich gefunden.

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.

Erstelle deine eigene Website mit Webador