Mein erstes Date mit Fräulein Panik

 

Da stehe ich nun, voller Endorphine und gestärkt durch das ausgiebigste Frühstück seit Langem, bereit für meine Wanderung. 680 Kilometer von Berlin aus durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg und Bayern bis nach Österreich 🇦🇹, dem Land meiner Träume. Mein Kopf ist ein buntes Puzzle voller Ideen, Wünsche und Pläne – was mach ich zuerst? Alles durchdacht, organisiert und doch irgendwie spontan – genauso, wie ich es möchte, und nicht wie der stressende Chef, der fordernde Freund, mein liebstes Kind oder der Kunde es gern hätte. Auf dem Weg im Auto läuft wie immer ein Hörspiel, denn die ewig gleichen Songs und Werbespots im Radio kann ich längst nicht mehr hören. Die Fahrt machte mich glücklicher um jeden Kilometer weiter entfernt von Berlin. Nach dem Einchecken in meine Lieblingspension und einer erholsamen ersten Nacht stand fest: Es geht hinauf auf den Berg! Und dann kam sie in Sicht: die Seilbahn, die mich dem Glück ein Stück näherbringt. Ganz ehrlich, allein auf meinen "Kartoffelstampfern" – wie ich liebevoll meine Beine nenne – schaffe ich es nicht, vom Tal auf den Berg zu kommen. Es sei denn, ich würde früh morgens starten, um mittags anzukommen. Die Hilfe der Seilbahn anzunehmen, hat mich nie gestört – warum auch? Ich bin also bester Laune, als ich ausstieg und mich auf den Weg zur Möseralm machte. Ein schöner Pfad führte durch den Wald, über Forstwege und Wiesen, hin zu einem köstlichen Kaiserschmarrn, der dort auf mich wartete. In der Nacht zuvor hat es in Strömen geregnet, und die Wege waren teils schlammig. Aber aus Zucker war ich schon lange nicht mehr und meine robusten Wanderschuhe ließen mich das gut meistern. Also los ging es, bergab!

Wie es wohl wäre, den ganzen Weg bergauf laufen zu müssen? Puh, Respekt vor den fleißigen Wanderern, die mir entgegen kamen. Meine Wander-App wies mir den Weg, sodass eigentlich nichts schiefgehen konnte. Mittlerweile war es Mittags, und ein seltsames Ziehen macht sich in meinem Magen bemerkbar. Hunger? Konnte nicht sein, ich habe doch längst meinen Proviant gegessen. Freundliche Hotelgäste begegneten mir, man grüßte sich und wünschte einen guten Weg. Doch plötzlich rief der Mann noch flüchtig hinterher: "Seien Sie vorsichtig! Die Wege sind heute extrem rutschig, und allein ist das nicht ohne!" Und da begann es…

Mein Kopf schrie, die Gedanken wirbelten durcheinander, und plötzlich schien sich alles zu drehen. Was ist das? Woher kommt das? Ich stehe da wie eine Eiche im Wald – starr, unbeweglich. "Wenn du jetzt weitergehst, kommst du sicher an. Dreh lieber um, dann schaffst du die Bahn ins Tal noch!" flüstert eine Stimme in meinem Kopf. "Du bist erfahren, wanderst seit Jahren. Deine App zeigt dir den Weg, der Akku ist voll. Erinner dich, du schaffst das!" Doch die Gedanken werden lauter, chaotischer. Dieses Gefühl, das mir den Atem raubt – was ist es?

Meine App vibriert: "Du bist vom Weg abgekommen, gehe zurück zur Route." Und da ist sie – Panik. Zum ersten Mal in meinem Leben spüre ich pure Panik. Mir wird klar, wie sich meine Patienten beim Expositionstraining gefühlt haben müssen. Scham überrollt mich bei dem Gedanken, ich hätte ihre Ängste als harmlos abgetan. "Ich muss zurück!" Der Gedanke wird lauter und drängender. Ich drehe mich um, sehe niemanden, weiß nicht, was ich tun soll, und laufe einfach los. Immer schneller. Die Panik treibt mich an. "Du schaffst die Bahn nicht mehr. Du wirst hier oben im Wald allein sein. Niemand wird dich finden!" Meine Beine rennen, sie überholen sich fast selbst, ich stolpere beinahe – und dann klingelt mein Handy.

Ich gehe keuchend ran: "Hallo, Mutti?" Am anderen Ende höre ich nur: "Er liegt in der Küche, er krampft, hallo… was soll ich tun?" Es ist, als würde ich in einem surrealen Albtraum feststecken, aus dem ich nicht aufwache. Aber jetzt muss ich funktionieren. Ich MUSS helfen.

Ich gebe Anweisungen, bleibe ruhig, lege auf und rufe den Nachbarn meiner Eltern an, 680 Kilometer entfernt, um Hilfe zu organisieren. Langsam realisiere ich, dass das alles real ist. Und dass ich mich immer noch in meiner eigenen misslichen Lage befinde. Ich japste nach Luft, während ich weiterlaufe und mich völlig verausgabe. Was hätte ich in diesem Moment für eine Papiertüte zum Atmen gegeben! Stattdessen greife ich zur Brötchentüte in meinem Rucksack. Irgendwie schaffe ich es, mich zu beruhigen.

Als ich die Bergstation erreiche und meine Uhr mir zeigt, dass ich noch zwei Stunden Zeit habe, sinke ich auf den nächstbesten Stuhl. Ich bestelle eine Holunderschorle und den schlechtesten Kaiserschmarrn, den ich je gegessen habe. Willkommen, Fräulein Panik.

 

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